Vor einiger Zeit las ich im Roman „Kompass“ von Mathias Enard einen bemerkenswerten Satz:
Heutzutage ist das eine heruntergekommene Kunst, jeder fotografiert jeden mit Telefonen, Computern, Tablets – das führt zu Millionen von kläglichen Aufnahmen, ungnädige Blitzlichter zerstören die Gesichter, die sie eigentlich in ein günstiges Licht rücken sollen, die Unschärfe ist selten künstlerisch gewollt, das Gegenlicht betrüblich. Zu Zeiten der Analogfotografie legte man mehr Wert auf diese Dinge, scheint mir. Aber vielleicht beweine ich wieder Ruinen. Was für ein rettungsloser Nostalgiker ich doch bin. Ich muss zugeben, dass ich mich auf diesem Abzug ziemlich gutaussehend finde. So sehr, dass Mama eine Vergrößerung eingerahmt hat. Mit blau kariertem Hemd, kurzem Haar, Sonnenbrille, das Kinn schön auf die rechte Hand gestützt, mit Denkermiene vor dem Hellblau des Persischen Golfs und dem Cyanblau des Himmels. Im Hintergrund erkennt man deutlich die Küste und Bandar Abbas; zu meiner Rechten in Rot und Ockerbraun die eingefallenen Mauern des portugiesischen Forts. Und die Kanone. In meiner Erinnerung stand dort eine zweite Kanone, die nicht auf dem Foto zu sehen ist.
Das ist natürlich nicht Hormus und nicht der persische Golf, auch keine Kanone, sondern ein Löwe; es ist der mißglückte Versuch, die junge Frau mit dem Sonnenhut in dem Moment zu erwischen, in dem sie sich von ihrer Sitzgelegenheit erhebt und das rote Haar über der Löwenmähne wallt. Das hat leider nicht geklappt. Sie ist einfach nicht aufgestanden, sondern hat sich ihren Hut aufgesetzt und nach ihrer Freundin Ausschau gehalten. Ich konnte sie auch nicht darum bitten, denn zwischen meinem Standort und ihrem Sitzplatz war eine tiefe Schlucht.
Ja, klägliche Bilder gibt es viele. Manchmal zeigen die Kollegen ihre Urlaubsbilder, „oh, ich habe sie noch nicht sortiert, wir waren im Urlaub hier und hier und da bin ich mit meiner … und dann waren wir … und dort haben wir …“ 800 oder 1000 Bilder in 10 Minuten über das Tablet gewischt.
Im Urlaub in Andalusien bin ich etlichen solchen Fotografen und auch Fotografinnen begegnet.
Ihnen zu Ehren entstand das Album „Andalusien Anders“, ein Leporello in belgischer Bindung mit reliefiertem Umschlag mit 20 Bildern im Passepartout.